Verantwortung für den Zusammenhalt unserer Gesellschaft übernehmen!

Nachricht 02. September 2022

Positionspapier und Erwartungen der Evangelisch-lutherischen Kirche in Osnabrück zur bevorstehenden Landtagswahl in Niedersachsen

Hilfe für Menschen in Armut

Wie in vielen Ländern wächst in Deutschland die Kluft zwischen Arm und Reich. Dies spüren wir sehr deutlich auch in Niedersachsen, wo sich die Armutsquote mit 17 Prozent auf einem traurigen Rekordhoch befindet. Besonders stark betroffen sind Kinder und Jugendliche: 300.000 Kinder und Jugendliche, d.h. fast ein Viertel aller unter 18-Jährigen in Niedersachsen, sind armutsgefährdet. Die zu erwartende weiter steigende Inflationsrate und die explosionsartig anwachsenden Energiekosten werden weitere Menschen in Armut stürzen.

Wir bitten die zur Wahl stehenden demokratischen Parteien, gemeinsam einen Aktionsplan gegen Armut zu erarbeiten.

Wesentliche Elemente eines solchen Plans wären aus Sicht unserer Kirche:

  1. Die besonders stark gestiegene Armut unter Kindern und Jugendlichen erfordert die schnelle Einführung einer Kindergrundsicherung. Finanziell schwachen Familien muss volle Lernmittelfreiheit für ihre Kinder ermöglicht und der Besuch von Ganztagsschulen als Regelangebot etabliert werden. Der Weg zur Schule und zurück mit öffentlichen Verkehrsmitteln muss für diesen Personenkreis kostenlos sein. In Schulen und Kitas sollte gesundes und nachhaltiges Essen angeboten werden.
  2. Familien, die in Gefahr sind, in Armut zu geraten, brauchen Beratung und Hilfestellung, um dies zu verhindern. Die existierenden sozialen Angebote von Diakonie und Gemeinden müssen finanziell unterstützt und personell gestärkt werden. Der Zugang zur sozialen Schuldnerberatung muss kostenlos sein, der öffentliche Personennahverkehr zumindest ermäßigt. Die Wohnungspolitik in Niedersachsen muss sich deutlicher als bisher an sozialen Kriterien orientieren, damit für alle Personenkreise angemessener Wohnraum zur Verfügung steht.
  3. Zur Unterstützung der finanziell Schwächsten werden die Evangelischen und Katholischen Kirchen auf Empfehlung der EKD und der Deutschen Bischofskonferenz in Niedersachsen und Bremen die Steuermehreinnahmen, die sich für die Kirchen aus der Energiepreispauschale des Bundes ergeben, gezielt in diakonische und karitative Angebote für die Schwächsten in dieser Krisensituation einsetzen. Nach bisher vorliegenden Schätzungen belaufen sich die zu erwartenden Kirchensteuer-Mehreinnahmen durch die Energiepreispauschale auf einen niedrigen zweistelligen Millionenbetrag. Die im niedersächsischen Landtag vertretenen Parteien fordern wir auf, sich dieser Initiative anzuschließen und einen Fonds für die Unterstützung der Haushalte einzurichten, die die erhöhten Energiekosten nachweislich nicht tragen können.

Soziale Teilhabe sicherstellen

Als Evangelische Kirche setzen wir uns ein für die Teilhabe Aller am gesellschaftlichen, politischen, kulturellen und sozialen Leben. Nur so schaffen wir eine integrative und inklusive Gesellschaft, in der unterschiedliche Bedürfnisse berücksichtigt werden und Chancengleichheit verwirklicht wird. Dazu gehört auch das Bekenntnis, dass die Zuwanderung von Menschen zu unserem Alltag gehört und wir Migration nicht als Ausdruck einer Krise verstehen.

Von den zur Wahl stehenden demokratischen Parteien erwarten wir, dass sie dazu beitragen, Strukturen zu schaffen, die das Ankommen und die Integration von Migrant*innen und Geflüchteten erleichtern:

  1. Ein entscheidender Faktor für die Möglichkeit der Teilhabe ist die Sprachförderung für die Zugewanderten. Kulturelle Unterschiede dürfen für die Integration keine Rolle spielen, sofern die Migrant*innen die freiheitlich-demokratische Grundordnung achten.
  2. Die Digitalisierung bietet neue Chancen der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben, insbesondere für Geflüchtete, die so in Kontakt mit ihren Angehörigen stehen und sich mit Hilfe von Übersetzungsapps und Vorlesefunktionen schnell mit der deutschen Sprache vertraut machen können. Hilfreich wären ein unkomplizierter Zugang zu digitalen Endgeräten und ein kostenloses WLAN, aber auch Ressourcen für Beratung und Aufklärung über die Risiken und Gefahren im Internet insbesondere für Kinder und Jugendliche.

Bildung als Grundvoraussetzung für staatsbürgerliches Denken

Unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung ist aus Sicht der Evangelischen Kirche die entscheidende Basis für ein gesellschaftliches Miteinander. Bildung ist ein entscheidender Schlüssel für das Verstehen und Teilhaben am gesellschaftlichen Leben.

Wir empfehlen den zur Wahl stehenden demokratischen Parteien, in Niedersachsen deutlich mehr in Bildungsangebote zu investieren. Dazu gehören die volle Lernmittelfreiheit für finanziell schwächer gestellte Familien, die erforderliche Ausstattung von Schulen und Weiterbildungseinrichtungen sowie Fördermöglichkeiten für Jugendliche und Erwachsene in Weiterbildung. Ein besonderes Augenmerk sollte auf dem Verständnis für unser gesellschaftliches Miteinander liegen, das für Inklusion und Teilhabe Aller am Wohlergehen steht. Dazu gehört auch die Ausprägung eines Verständnisses für Gemeinsinn und staatsbürgerliches Engagement zur Schaffung und Bewahrung friedlicher Verhältnisse in Familien, Nachbarschaften, Städten und auf bundesweiter Ebene.

Nachhaltigkeit als Basis ökonomischen und ökologischen Handelns

Ein bewusster und umweltschonender Umgang mit Ressourcen sowie der Einklang von ökonomischen, ökologischen und sozialen Faktoren prägen nachhaltiges Handeln. Für die Evangelische Kirche ist die Bewahrung der Schöpfung ein Kernbegriff menschlichen Handelns. Mehr denn je müssen wir zudem deutlich machen, dass unser Handeln Konsequenzen für Menschen überall auf dieser Welt wie auch für künftige Generationen hat.

An die zur Wahl stehenden demokratischen Parteien appellieren wir, sich für die soziale Gestaltung von Nachhaltigkeit zu engagieren. Dies betrifft vor allem die Bereiche Wohnungsbau, Verkehr und Infrastruktur, Ernährung und Wirtschaft. Gefordert sind Bauprojekte mit nachhaltiger Dämmung und Sanierungsmöglichkeiten für Altbauten, ein Tempolimit auf Autobahnen, der Ausbau des DB-Schienennetzes besonders in ländlichen Regionen, der sukzessive Umstieg auf alternative Energieträger und die Eingrenzung von Massentierhaltung zugunsten einer naturnahen Landwirtschaft.

Für die Evangelisch-lutherische Kirche in Osnabrück

Dr. Joachim Jeska
Superintendent im Evangelisch-lutherischen Kirchenkreis Osnabrück

Osnabrück, 2. September 2022