„Schimpf nicht mit vollem Mund über Landwirte“

Nachricht 13. November 2021

7. Osnabrücker Männervesper diskutiert über Zukunft der Landwirtschaft

Leckeres Essen, jazzige Musik und ein Thema, das jeden betrifft: Es ist die besondere Mischung, die jetzt zum siebten Mal Männer aus allen Kirchengemeinden des Sprengels Osnabrück ins Steinwerk St. Katharinen lockte. Im Zentrum der Osnabrücker Männer-Vesper, organisiert von der Männerarbeit im Sprengel, stand dieses Jahr die „Zukunft der Landwirtschaft“.

Die bäuerliche Lebensform sei schon in der Bibel oft klischeehaft und weit entfernt von der harten Realität dargestellt, sagte Friedrich Selter, Regionalbischof des Sprengels Osnabrück, zu Beginn der Veranstaltung. In ihrem anschließenden Vortrag schilderte Pastorin Ricarda Rabe, Referentin der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers für den Kirchlichen Dienst auf dem Lande, dass Landwirtschaft vor allem harte Arbeit sei. Gleichzeitig setzte sie sich für mehr Wertschätzung für die Arbeit der Landwirt*innen ein: „Schimpf nicht mit vollem Mund über Landwirte“, denn das, was wir essen, sei das Produkt dieser Arbeit. Eindrucksvoll zeigte Ricarda Rabe den Strukturwandel in der Landwirtschaft auf. Auf die Frage, wer von den 55 Anwesenden selbst Landwirt ist oder war, hoben sich vier Finger. In der Elterngeneration waren es noch neun, und bei den Großeltern 15, die ihren Lebensunterhalt als Landwirt*innen verdienten. „Die Betriebe werden weniger und größer.“ So hätte es im Jahr 1949 noch 1,6 Millionen Bauernhöfe in Deutschland gegeben. Heute seien es nur noch rund 300.000. „Jedes Jahr geben 2 bis 5 Prozent der Betriebe auf“, erläuterte Ricarda Rabe. Parallel zur Abnahme der Anzahl der landwirtschaftlichen Betriebe sei die Produktivität immer weiter gestiegen. Im Jahr 1900 hätte ein Landwirt vier weitere Personen ernährt. Heute seien es 134 Menschen, die durch die Arbeit eines einzelnen Landwirts satt würden.

Was wir auf den Tisch bekommen, wird nicht mehr wertgeschätzt, weil es nichts kostet.

Ricarda Rabe, Referentin der Landeskirche Hannovers für den Kirchlichen Dienst auf dem Lande

Boden als Grundlage der Existenz

Landwirt*innen stünden heute vor erheblichen Herausforderungen, so Ricarda Rabe. Da sei zum ersten der Boden, die sprichwörtliche Grundlage unserer Existenz. Böden litten unter Erosion, hohen Nitrateinträgen und immer mehr Versiegelung. „Jede Autobahn, jedes Neubaugebiet nimmt Boden weg, der nicht mehr für den Anbau genutzt werden kann.“ Inzwischen konkurrierten sogar Fotovoltaikanlagen mit Getreide um landwirtschaftliche Nutzflächen. „Ich bin nicht gegen den Ausbau erneuerbarer Energien, aber solange es in den Städten noch Dächer ohne Solaranlagen gibt, wehre ich mich dagegen, dass Ackerflächen mit Fotovoltaikmodulen zugebaut werden.“ Zweite große Herausforderung sei der immense Druck, der auf Landwirt*innen laste. Die Arbeitsbelastung sei extrem hoch, und das 365 Tage im Jahr, immer weniger Landwirte könnten von ihrer Arbeit leben und zugleich steige der Druck von außen: durch Politik, Gesellschaft und Medien, aber auch durch „die Leute im Dorf“. „Das geht hin bis zu Landwirtskindern, die in der Schule gemobbt werden“, erklärte Ricarda Rabe. Vor dem Hintergrund des zunehmenden Trends zu Bio plädierte Ricarda Rabe für einen stärkeren Austausch zwischen Bio-Betrieben und konventioneller Landwirtschaft: „Beide sollten sich in der Mitte treffen und voneinander lernen, damit diese Fronten nicht mehr da sind.“ Zu all dem käme hinzu, dass die Menschen immer mehr den Bezug zur Landwirtschaft verlören. Eine „ernteentfremdete Bevölkerung“ hätte keine Ahnung mehr, wo unser Essen herkommt. Außerdem: „Was wir auf den Tisch bekommen, wird nicht mehr wertgeschätzt, weil es nichts kostet“, beklagte Ricarda Rabe. „Ein Drittel aller Lebensmittel, die produziert werden, wird weggeschmissen.“ Das hätte auch viel damit zu tun, dass Deutschland zu den Ländern mit den niedrigsten Lebensmittelpreisen in Europa gehört.

Wie es danach weitergeht, das bereitet mir schlaflose Nächte.

Henrik Zühlsdorf, Betreiber einer Biogasanlage in Bersenbrück, zum Auslaufen der garantierten Einspeisevergütung in wenigen Jahren

Laufend neue Regelungen

Wie sich die Landwirtschaft in Zukunft weiterentwickle, hänge an mehreren Faktoren. Laut Pastorin Rabe stünden ganz oben die Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen. Auf europäischer Ebene sollen diese Ziele durch den sogenannten Green Deal verwirklicht werden, mit dem die EU bis 2050 klimaneutral werden will. EU-weit ginge die Entwicklung hin zu weniger Pestiziden und Düngemitteln und mehr Bio. Entsprechende Verordnungen müssten in deutsches Recht umgesetzt werden und schließlich in Regelungen für Niedersachsen. Problem sei, dass diese Regelungen sich häufig ändern würden. „Uns fehlt die Langfristigkeit für eine verlässliche Planungssicherheit“, sagte Henrik Zühlsdorf, der in Bersenbrück eine Biogasanlage betreibt und damit Strom und Wärme produziert. Es gäbe laufend gesetzliche Änderungen, die nach einer hohen Anfangsinvestition immer wieder neue Investitionen erforderten, um die Anlage überhaupt weiterbetreiben zu können. Für die Biogasanlage, die mit nachwachsenden Rohstoffen betrieben wird, laufe 2026 die garantierte Einspeisevergütung aus. „Wie es danach weitergeht, das bereitet mir schlaflose Nächte.“ Man müsse jetzt die Weichen stellen, damit Landwirte bei der Energiewende nicht auf der Strecke blieben.

Für das Leitungsteam der Männerarbeit im Sprengel Osnabrück bedankten sich Pastor Guido Schwegmann-Beisel und Hans-Ulrich Schwarznecker für die interessanten Einblicke in eine Branche, die uns alle angeht. Das gilt auch für das Thema der 8. Männer-Vesper im kommenden Jahr: Am 4. November 2022 steht die Initiative „Sicherheit neu denken“ im Fokus, die sich für eine zivile Außen- und Sicherheitspolitik einsetzt.

Weitere Informationen

Der Kirchliche Dienst auf dem Lande (KDL) ist der Fachdienst der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers für alle Fragen der Landwirtschaft und der Lebenssituation bäuerlicher Familien, des Menschen auf dem Land sowie der kirchengemeindlichen wie regionalen Entwicklung im ländlichen Raum.

Zur Website des KDL