Den Hass überwinden

Nachricht 02. Januar 2020

Neujahrsgrüße von Dr. Joachim Jeska, Superintendent im Evangelisch-lutherischen Kirchenkreis Osnabrück

Superintendent Dr. Joachim Jeska

Zum Jahreswechsel grüße ich alle Osnabrückerinnen und Osnabrücker sehr herzlich und wünsche allen ein gesegnetes und gutes neues Jahr.

Haben Sie den Gerichtsprozess um die Grünen-Politikerin Renate Künast verfolgt? Ausgelöst durch ein mutwillig verfälschtes, mehrere Jahrzehnte zurückliegendes Zitat, in dem sie vermeintlich sexuelle Beziehungen zwischen Kindern und Erwachsenen positiv beurteilte, brach in den sogenannten sozialen Medien über sie ein Shitstorm mit üblen Beschimpfungen wie „altes grünes Dreckschwein“ herein. Sie ging juristisch gegen dieses Mobbing vor; das Landgericht Berlin allerdings urteilte im September 2019 zum Erstaunen nicht nur von Frau Künast, dass diese Kommentare „keine Diffamierung der Person der Antragstellerin und damit keine Beleidigungen“ darstellten.

Mir geht es in diesem Fall nicht um das Gerichtsurteil (von dem ich annehme, dass es in der nächsten Instanz revidiert wird), sondern um die Frage, was tausende Menschen bewegt, Frau Künast auf diese Weise zu diffamieren. Woher kommt ihr Hass, was macht sie so unglaublich wütend? Was bewegt die Pegida-Anhänger in Dresden und die Demonstranten in Chemnitz, die dort im August Flüchtlinge durch die Straßen jagten? Warum sind sie stolz darauf, den gesellschaftlichen Frieden zu stören und ihre Aggressionen an Schwächeren und Minderheiten auszulassen?

Unser Auftrag lautet, den Betroffenen dabei zu helfen, ihren Hass zu überwinden.

Politik und Wissenschaft haben Antworten darauf, in denen Begriffe wie „abgehängt“, „nicht gehört“ und „sozial marginalisiert“ vorkommen. In manchen Parteien heißt es, man müsse den Menschen wieder mehr zuhören. Hier sehe ich auch unsere Kirche gefragt. Unser Auftrag lautet, den Betroffenen dabei zu helfen, ihren Hass zu überwinden. Wir müssen mit denen ins Gespräch kommen, die sich benachteiligt, nicht wertgeschätzt oder übergangen fühlen. Wohlgemerkt, ich spreche nicht von Verbrechern, die Flüchtlingshäuser anzünden und Straftaten begehen, sondern von denen, deren subjektive soziale Verzweiflung in verbalen Hass umzuschlagen droht oder es schon getan hat. Ihnen gegenüber muss sich unsere Kirche als Ort der Begegnung zeigen, an dem man ihnen zuhört und ihre Sorgen, Ängste und Bedenken ernst nimmt. Sie muss eine Anlaufstelle für diese Menschen sein, in der sie wieder Fuß fassen und Vertrauen aufbringen lernen. Solche Angebote zum Gespräch gibt es in unseren Kirchengemeinden, zum Beispiel im Umfeld von Gretesch-Lüstringen, wo die Petrusgemeinde mit dem Projekt „Jedes Kind braucht einen Engel“ Kindern und Jugendlichen, Familien und Alleinstehenden die Möglichkeit der Begegnung bietet. Auch in unseren diakonischen Einrichtungen in Osnabrück Stadt und Land kümmern sich unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter um Menschen, die unter sozialer Kälte und Vereinzelung leiden und das Gefühl haben, dass niemand sich für sie interessiert und ihnen zuhört.

Unser Motto ist das biblische Wort „Fürchtet Euch nicht“, d.h. versteht den Anderen nicht als Bedrohung oder Konkurrenz, sondern als Bereicherung in eurem Lebensumfeld!

Ob in Kirchengemeinden, Beratungs- und Anlaufstellen, sozialen Läden oder speziellen Projekten, ob in Kommunen oder Landtagen – ein für uns wichtiger Aspekt ist es, Menschen darin zu bestärken, das Schwarz-Weiß-Denken zu überwinden und ihr Umfeld differenzierter zu betrachten. Wir möchten erreichen, dass sie den Wert von Vielfalt zu schätzen wissen und diese nicht als Bedrohung empfinden. Die multikulturelle Kita im Viertel und die multireligiöse Musikaufführung in der Nachbargemeinde sind Angebote zum Kennenlernen und gegenseitigen Verstehen, die Angst vor Überfremdung und sozialen Druck abbauen. Unser Motto ist das biblische Wort „Fürchtet Euch nicht“, d.h. versteht den Anderen nicht als Bedrohung oder Konkurrenz, sondern als Bereicherung in eurem Lebensumfeld! Als Evangelisch-lutherische Kirche noch gezielter auf Menschen zuzugehen, deren soziale Verunsicherung in Wut und Hass umzuschlagen droht, bedeutet auch, noch stärker Präsenz zu zeigen und an den Brennpunkten sichtbar zu sein. Diese Sichtbarkeit zu stärken und sich als Kirche im jeweiligen Umfeld zu profilieren ist eines unserer strategischen Ziele für die Weiterentwicklung unserer Präsenz in den nächsten zehn Jahren.

Ich wünsche Ihnen ein friedliches und glückliches neues Jahr.

Herzlichst Ihr
Dr. Joachim Jeska, Superintendent