Reformationsgottesdienst 2017 in St. Marien

Nachricht 01. November 2017

Dialog-Predigt in vier Teilen von Landessuperintendentin Dr. Birgit Klostermeier und Bischof Dr. Franz-Josef Bode

1. Teil: Landessuperintendentin Dr. Birgit Klostermeier zu Römer 3, 21-28

Liebe Gemeinde, nun stehen wir, lieber Bruder Bode, an diesem Reformationsfest 2017 hier gemeinsam in der St. Marienkirche nach einem bewegten Jahr. Ihren Kalender habe ich gesehen, angefüllt mit Reformationsfestterminen. Und auch ich denke gern an die vielen besonderen Begegnungen wie das gemeinsame Märtyrergedenken, an die Einsegnung der katholischen Religionslehrerinnen und -lehrer, an unser mit dem reformierten Bruder Martin Heimbucher geführtes Gespräch erst vor kurzem über Maria und Petrus. Unsere Kalender sind ja nur ein kleiner Spiegel dessen, was in den Gemeinden und Kirchenkreisen an Gemeinsamen in diesem Jahr war. Fünfhundert Jahre nach dem Datum, das wir mit Luthers Thesenanschlag verbinden mit all seinen Auswirkungen und geschichtlichen Prägungen und unserer getrennt-gemeinsamen, auch düsteren und abgründigen Geschichte von Spaltung, Kriegen und Konfessionalismus. Nun feiern wir gemeinsam Gottesdienst. Wir sprechen zu zweit eine Predigt, nein, genauer machen wir das zu viert. Denn diese beiden Texte der Bibel, die wir eben gehört haben, sprechen mit. Als erstes der aus dem Römerbrief. Es ist der Text der Reformation. Luthers, wie er selbst sagte, „allerliebstes Wort“. In jedem unserer Reformationsgottesdienste wird dieser Text gelesen. Nun aber ist ohne Zutun des Gesetzes die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, offenbart, bezeugt durch das Gesetz und die Propheten. Ich rede aber von der Gerechtigkeit vor Gott, die da kommt durch den Glauben an Jesus Christus zu allen, die glauben. So halten wir nun dafür, dass der Mensch gerecht wird ohne des Gesetzes Werke, allein durch den Glauben. (Röm 3,21f.28) Diese Zeilen des Apostels Paulus kann man lesen und noch einmal lesen. Und womöglich passiert gar nichts. Man muss sie ja erst mal verstehen. Mit dem Kopf: Gesetz, Gnade, Gerechtigkeit... Und dann mit dem Herzen verstehen, nämlich: Ich bin gemeint. Es geht um mich. Wie erging es Luther mit diesen Versen? „Tag und Nacht dachte ich unablässig darüber nach, bis Gott sich meiner erbarmte. Da fing ich an, die Gerechtigkeit Gottes als die Gerechtigkeit zu verstehen, durch die der Gerechte als durch Gottes Geschenk lebt, nämlich aus dem Glauben. Da fühlte ich, dass ich geradezu neugeboren und durch die geöffneten Pforten in das Paradies selbst eingetreten war. Und mit welchem Hass ich vorher das Wort 'Gerechtigkeit Gottes' hasste, mit solcher Liebe schätzte ich es nun als allerliebstes Wort. So wurde mir jene Stelle bei Paulus wahrhaft Pforte des Paradieses.“ (Vorrede zu der Gesamtausgabe der lateinischen Schriften, 1545) Als würde ihm eine Last von der Seele genommen. Eine Pforte geöffnet. Hindurchgehen. In das Paradies eintreten. Was für ein Erlebnis! Gott selbst, davon ist Luther überzeugt, spricht zu ihm. Spricht Gott auch zu uns? Oder sind es Worte wie von ferne? Manch einer sagt, in unserer Gesellschaft sei Rechtfertigung kein Thema. Der strafende Gott Martin Luthers sei uns unbekannt. Ein Problem mit dem göttlichen Gesetz? Nein, haben wir nicht mehr. Natürlich haben 500 Jahre Reformation auch Gottes- und Menschenbilder verändert. Auch die Aufklärung hat zu einem anderen Verständnis beigetragen. Mag sein, dass wir in einer Welt leben, die Gott nicht mehr fürchtet, ihn vergessen oder für unnötig erklärt hat. Womöglich leben wir in einer Welt, die Gott im Alltagsvollzug durch den Menschen ersetzt hat. Gerade läuft der Film nach dem Bestseller „Circle“ an. Er erzählt von einer nahen Zukunft, in der ein Konzern die Dienstleistungen von Facebook, Google und Apple aus einer Hand anbietet und hierdurch eine große Menge an Informationen über die Kunden erhält. Dabei untergräbt das Unternehmen die Privatsphäre der Bevölkerung und kann hierdurch nahezu alle zwischenmenschlichen Handlungen und Beziehungen kontrollieren. Fiktion oder nahe Zukunft? Auch wenn unsere Gesellschaft sich aufgeklärt gibt, sind wir noch lange nicht fertig mit dem Wesentlichen: Wo kann ich ohne Angst sein? Wem vertraue ich? Wer hat Macht über mich? Wer macht sich zu meinem Gott? Wo mache ich mich selbst zu einem Gott über andere? Die Rechtfertigung vor- und miteinander, die ist noch nicht erledigt. Und wir als Kirche? Befreit, von dem Zwang einer Gerechtigkeit durch Werke? Eine Leserin schrieb in einem Brief in der Süddeutschen Zeitung – vorausgegangen war eine Debatte, wie viel Ökumene die Kirchen vertragen-, ob die Kirchen neben „ihrem Luther“ und „ihrem Papst“ nicht das Wesentliche vergessen hätten, nämlich Christus. Ich liebe meine evangelische Kirche, ihre Tradition, ihre Frömmigkeit, ihre Vielfalt und Vielgestaltigkeit, ihre Eigenwilligkeiten, ihre Kompliziertheiten und kleinen und großen Freiheiten. Ich schätze das Selbstbewusstsein vieler Kirchenvorstände und die Eigensinnigkeit und Kreativität so mancher Pastoren und Pastorinnen. Nur manchmal scheint es mir so zu sein, als gefielen wir uns darin, uns genau dieser Unabhängigkeit der Einzelnen zu rühmen. Wir sind gut so und so soll es bleiben.- Ich frage mich, ob wir unsere Strukturen nicht manchmal für heilige Gesetze erklären. Eine Gerechtigkeit, die aus den Werken des Gesetzes kommt? Dabei: Aus protestantischer, aus evangelischer Sicht ist die Kirche wie ein Vehikel. Sie transportiert Gottes Wort. Sie feiert seine Gegenwart in Brot und Wein. Aber das Vehikel, ihre Gestalt ist doch immer nur als eine vorübergehende zu denken. Sie ist immer in Veränderung begriffen, eben weil sie ja auf Gott vertraut und nicht auf sich selbst. Sie kann und muss auf ihre Herkunft und ihre Tradition und Bekenntnisse achten, aber doch nur so, indem sie sie neu in die Zeit hinein entwirft und gestaltet. „Wo bleibt nun das Rühmen? Es ist ausgeschlossen.“ Allein der Glaube. Allein das. – Ja, das Herz hinüber werfen. Vertrauen. Christus vertrauen. Gott vertrauen. Es machen, wie Christus es macht und die Menschen lieben. Sehen, was nötig ist. Tun, was dran ist. Sich offen halten. Selbst wie eine geöffnete Tür werden. Deshalb braucht die Kirche den Protest. Sie muss ihn in sich tragen. Wenn wir 500 Jahre feiern – und ich sage bewusst feiern - dann doch nicht, weil wir uns unserer selbst rühmen wollen, sondern weil mit der Reformation ein Prinzip sicht- und deutlich wurde, was konstitutiv zur Kirche gehört. Reformation bleibt die Aufforderung, dass wir uns unruhig halten, um uns selbst offen zu halten. Wie eine Tür offen zu halten. Deshalb ist Reformation nicht der 31. Oktober. Reformation ist eine Haltung. Getragen von der Tiefe unseres Dasein. Getragen und ermöglicht von diesem Versprechen und der Verheißung, von Gott geliebt, Liebende zu werden. Geachtet, Andere achten zu können. Von Gott gesehen, Andere sehen zu können. Getragen von dem Vertrauen, ein Gegenüber in dieser Welt zu haben, und deshalb Anderen ein Gegenüber zu werden. Karl Barth hat in seiner berühmten Auslegung des Römerbriefes aus dem Jahr 1922 geschrieben, dass Gott sich selbst vor sich rechtfertigt, indem er dem Menschen treu bleibt und „nicht aufhört, sich seiner anzunehmen.“ (Römerbrief, S.67) Gott hört nicht auf. Deshalb können wir beginnen.

2. Teil: Antwort von Bischof Dr. Franz-Josef Bode an Landessuperintendentin Dr. Klostermeier zu Römer 3,21-28

Liebe Frau Klostermeier, liebe Schwester im Glauben. Danke für diese Öffnung eines weiten und tiefen Raumes, der uns die für Luther und die Reformation so entscheidenden Worte aus dem Römerbrief besser ermessen und verstehen lässt. Gerade weil wir in der Katholischen Kirche oft versucht sind, Strukturen und Gesetze so zu pflegen, dass der Raum des Geistes eingeschränkt zu werden droht, ist der Impuls der Reformation aus der persönlichen Erfahrung Luthers für uns so wichtig. Immer wieder müssen wir uns davon herausfordern lassen wie von einem Stachel im Fleisch, damit allzu irdische Machbarkeitsphantasien uns nicht übermächtigen. Hinter den Ablasspredigten eines Pater Johann Tetzel vor 500 Jahren steht ja die Grundversuchung, sich Gottes Zuwendung und Anerkennung verdienbar machen zu wollen. Und das nicht nur in den plumpen Formen von damals mit materiellen Gütern oder mit Gebetsleistungen und einer Anhäufung von guten Werken. Heute sind die Formen weit subtiler, den immer größeren Gott in menschliches Maß zu zwängen. Das geht soweit, dass er selbst sich Anerkennung bei den Menschen verdienen muss als ein Gott, der nicht zu weit weg ist, damit er bei Bedarf noch helfen kann, der aber auch nicht zu nahe kommt, damit er nicht stört. Reformation ist nicht nur ein Ereignis oder ein Vorgang. Reformation ist eine Haltung. Sie ist durchdrungen von der Zusage Gottes, dass wir, von ihm geliebt, Liebende werden, und, von ihm geachtet, achtsam füreinander. Reformation ist eine Haltung, getragen von dem Vertrauen, ein Gegenüber in dieser Welt zu haben, das anders und größer ist als wir; ein Gegenüber, das uns dazu befähigt, anderen ein wohlwollendes Gegenüber zu sein, das ihre Würde als Ebenbild Gottes anerkennt, das jeden auch anders sein lässt und ihn nicht vereinnahmt. Damit kommen wir aber zu einem Akzent, zu einer Dimension, die die Katholische Kirche in besonderer Weise wahrt, eine Dimension, die Luther selbst durchaus auch im Blick hatte nach seiner Befreiung von dem Ringen um einen gnädigen Gott. Denn das Vertrauen in Gott führt zu Haltungen, zu Verhalten, zur Wandlung der Verhältnisse, zu ethischen Konsequenzen, eben zu einem Glauben, der sich in der Liebe bewährt. Es führt zum Geschenk eines Glaubens, der sich inkarniert, der wieder Hand und Fuß annimmt in konkretem Sein und Handeln, nicht um die Liebe zu erringen, gar zu verdienen, sondern um der Liebe Ausdruck und Wahrheit zu geben. Gott erfüllt uns mit dem Geschenk des Glaubens und der Gnade nicht als tote Gefäße, sondern als lebendige Gefäße, die an der Wirksamkeit des Glaubens und der Gnade beteiligt sind. Deshalb liegt uns auch das Sakramentale, das Zeichenhafte, das mit allen Sinnen Erfahrbare so sehr am Herzen. Deshalb suchen wir nach sichtbarer Einheit der Kirche. Deshalb sind die Feier der Liturgie und das Tun der Caritas so innerlich miteinander verbunden. Deshalb erkennen wir die bleibende Gegenwart Christi in der Substanz des Brotes und des Weins, die Gottes allmächtiges Wort ein für alle Mal verwandelt hat. Und wir vertrauen dabei auf Christi Wirken durch einen konkreten geweihten Menschen, der den Geist Gottes auf Brot und Wein herabruft, durch deren Wandlung Leib Christi entsteht in der Gemeinschaft der Kirche. Lassen Sie uns, liebe Frau Klostermeier, sola fide et sola gratia gemeinsam danach streben, dass sich die eher evangelischen und die eher katholischen Dimensionen zu einer Einheit fügen – ich hoffe auch mit den orthodoxen Mitchristen. Die Vertiefung unseres gemeinsamen Glaubens an Christus, den menschgewordenen und doch immer größeren Gott, und den Heiligen Geist, der allen Glauben, alle Hoffnung und alle Liebe schenkt, hat im vergangenen Jahr den Grundwasserspiegel der Ökumene deutlich erhöht. Und darum endet dieses Jahr auch nicht einfach heute am 31. Oktober. Es führt uns weiter in eine Reformation als Haltung, in der Türen geöffnet bleiben, die niemand mehr schließen kann (vgl. Offb 3,8).

3. Teil: Bischof Dr. Franz-Josef Bode zu Johannes 10,1-9

Liebe Frau Dr. Klostermeier, liebe Schwestern und Brüder im Glauben! Die Tür ist heute das besondere Symbol dieses Gottesdienstes: Türen, gestaltet von Schülerinnen und Schülern mit ihren Sorgen und Nöten, mit ihren Wünschen und Hoffnungen. Die Tür spielt jeder Religion, in jeder Glaubensgeschichte als Zugang zum Heiligen eine besondere Rolle. Die Schwelle, die Tür, das Tor, der Eingang… Keine Beschreibung der Gottsuche kommt ohne diese Bilder aus. Äußerlich werden Pforten, Portale, Tore, Türen, Schwellen, Bögen besonders gestaltet, um den Eintritt in eine andere Wirklichkeit zu kennzeichnen. Innerlich werden diese Begriffe für den Eintritt in eine neue Qualität, in eine neue Gemeinschaft, in einen neuen Lebensabschnitt benutzt. Verschlossene und geöffnete Türen sind Bilder für Geheimnis und Offenbarung: die Türen zum Allerheiligsten, die Türen des Himmels, die Türen unseres Herzens. Doch der entscheidende Schritt des Menschen vom eigenen biologischen Leben zum Leben in der Fülle Gottes, vom Dasein, das nur sich selbst lebt, in die Gemeinschaft derer, die für Gott und füreinander leben, zum „Schafstall“ des guten Hirten, der die Seinen kennt und liebt und sie frei ein- und ausgehen lässt, führt nicht durch eine Tür aus Holz oder Metall. Er führt vor eine lebendige Person, die selbst Zugang, Tür, Durchgang, Eröffnung eines Wegs und zugleich Wahrung eines Geheimnisses ist. Ich erinnere mich gern an die Worte eines früheren Hildesheimer Dompredigers, mit denen er einen Menschen beschrieb, der einer Tür gleicht: Er steht an unserem Wege, aber er steht uns nicht im Wege, er ist keine Mauer, die wir überklettern oder gar niederreißen müssten. Er öffnet sich und gibt den Weg frei ins Weite oder in die Geborgenheit – aber er selbst ist nicht diese Weite, diese Geborgenheit, er ist nur die Tür dazu. Die Schwelle will überschritten sein; über sie hinaus geht der Weg, nicht nur zu ihr hin. Über den Menschen hinaus geht der Weg – und wer das weiß, gleicht einer Tür. Er öffnet sich, aber nicht um festzuhalten und ein Gefängnis zu sein. Er lädt uns ein, weiterzugehen, in den Raum, den er uns öffnet, in die Freiheit, die er bezeugt, in die Liebe, die ihn belebt. Er ist der liebende Mensch. Der liebende Mensch ist eine Tür zu Gott. Vielleicht gibt es nur wenige Menschen, die ganz eindeutig immer eine Tür zu Gott sind, vermutet der Domprediger. Ganz sicher weiß ich es nur von einem, der auch ausdrücklich gesagt hat: Ich bin die Tür – ganz sicher weiß ich es nur von Christus. In ihm ist die Liebe selber bis an die Schwelle unserer Welt gekommen, an die Schwelle unseres Lebens, unserer Schuld, unseres Elends – nein, in ihm ist die Liebe über unsere Schwelle gekommen, mitten in unser Gefängnis hinein, und über die Schwelle hinaus will sie uns zurücktragen ins göttliche Leben. Jesus selbst ist die Tür. Er will, dass alle Menschen, die ihm folgen, wie Türen sind: offen und transparent, lebendige Zugänge zum Größeren, aber auch verschlossen und diskret, wo es um das unzugängliche, immer größere Geheimnis Gottes geht. Eine Vertiefung der Selbstaussage Jesu „Ich bin die Tür“ erfahren wir in der Geheimen Offenbarung, in der der Auferstandene selbst der Trost für die Seinen ist, die in Bedrängnis, Unsicherheit, Angst und Verfolgung geraten sind. „Ich kenne deine Werke, und ich habe vor dir eine Tür geöffnet, die niemand mehr schließen kann“ (Offb 3,8). So spricht der, „der den Schlüssel Davids hat, der öffnet, so dass niemand mehr schließen kann, der schließt, so dass niemand mehr öffnen kann“ (Offb 3,7). Diese Aussage ist für jeden von uns ein kostbarer Trost: Es gibt einen, der längst vor uns die Tür entriegelt hat zu Gott, zum Mitmenschen, zum Leben in Fülle; es gibt einen, der uns vorausgeht und die Schlüssel hat für unser Leben. Der hohe Anspruch Jesu, die Tür zu sein – „Alle, die vor mir kamen, sind Diebe und Räuber...“ (Joh 10,8) – darf nicht heruntergespielt werden. Zugleich aber ist mit diesem Anspruch die Zusage verbunden: Diese Tür kann niemand schließen; sie eröffnet das Leben in Fülle. Das hat eine Hauptschule hier auf Ihre Weise ausgedrückt: Die Schülerinnen und Schüler haben eine Tür so manipuliert, dass sie nicht mehr zu schließen ist. Das heißt: Die Tür ihrer Zukunft ist nicht mehr zu schließen. Das ist ihre Hoffnung. Was das, liebe Schwestern und Brüder, für diese Stunde bedeutet, da wir zum ersten Mal ein Jahrhundertgedenken der Reformation im ökumenischen Miteinander begehen, sollten wir nicht unterschätzen. Von 1517 an schlossen sich über Jahrhunderte viele Türen. Heute, nach so manchem Versuch, einen geeigneten Schlüssel zu finden, gehemmt durch Unebenheiten des Grundes, von Zeit zu Zeit mit verstohlenem Blick durchs Schlüsselloch, heute kommen wir mit dem Wind des Heiligen Geistes im Rücken langsam und unter Knarren dazu, Türen zu öffnen. Wir haben erkannt: Je mehr wir selbst wie Türen sind, liebende Existenzen, wie wir eben hörten, desto mehr öffnen sich Türen auch in der Ökumene. Und je näher wir der eigentlichen Tür sind, die Christus selbst ist, dieser Tür, die für beide Konfessionen ein und dieselbe ist, je mehr sich unser Dasein um Christus, den Dreh- und Angelpunkt unseres Lebens, bewegt, desto mehr öffnen sich Räume der Gemeinschaft und des gemeinsamen Weges in die Zukunft. Wir mögen uns vielleicht gelegentlich auf den beiden Seiten der Tür gegenüberstehen, mal ziehend und mal schiebend in unserer menschlichen Schwachheit und Gespaltenheit: Christus hat diese Tür schon vor uns geöffnet, und niemand kann sie mehr schließen. Es gibt kein Zurück mehr in völlig getrennte verschlossene Räume, sondern nur die weitere Öffnung des Türspalts, durch den das Licht des Geistes längst gefallen ist und uns erleuchtet und antreibt zu weiteren Schritten.

4. Teil: Antwort von Landessuperintendentin Dr. Birgit Klostermeier an Bischof Dr. Bode zu Johannes 10,1-9

Lieber Bruder in Christus, wie gern stimme ich Ihnen zu, entdecke ja darin das sich Ergänzende und auch die Annäherung. Ja, Gott traut dem Menschen zu, die Welt zu gestalten. Eine Schöpfungskraft, Kreativität und Lust. Die Freiheit im Glauben ist auch eine Freiheit zu handeln und zu gestalten im Sinne der göttlichen Gebote. Dafür müssen wir angerührt und berührt werden. Nicht ohne Grund schätzen wir das Sakramentale und sinnlich Erfahrbare in katholischen Gottesdiensten, nicht ohne Grund haben wir für unsere evangelischen Gottesdienste vieles davon wiederentdeckt. Und Protestanten gehen ja nicht mehr zerknirscht und sich selbstzerfleischend durch die Welt, wie manches Klischee es nahelegte. Obwohl - die Katholiken wahrscheinlich immer noch besser Karneval feiern können... Wenn ich auf die Ökumene vor Ort sehe, in Osnabrück und im Osnabrücker Land, habe ich den Eindruck, dass in der gelebten Frömmigkeit die Unterschiede kaum noch auszumachen sind, so viel Annäherung und Gemeinsames wird erlebt. Zugleich und eben deshalb wird das Trennende umso schmerzhafter erfahren: Das Abendmahl, das Kirchenverständnis, das priesterliche Weiheamt, das Papstamt... – das Priestertum aller Gläubigen... Diese sich ausschließenden Verständnisse und die damit verbundenen Regelungen sind immer wieder eine andere Tür, ein Einfallstor für Kränkung und das Gefühl von Ohnmacht, nicht dazuzugehören, nicht respektiert zu werden. Die Sehnsucht nach sichtbarer Einheit läuft ins Leere. Unverständnis und Kopfschütteln bei denen, die nicht verstehen können, was hindert. „Wann heben Sie denn die Trennung der Kirchen auf?“, bin ich oft gefragt worden in diesem letzten Jahr, quer durch alle Konfessionen und Nicht-Konfessionen. Und es klingt, als würden wir als Kirche erst glaubwürdig, als hätte das Reformationsjahr erst dann Sinn gemacht, wenn wir alles Trennende überwunden und eine sichtbare Einheit der Kirche geschaffen haben. Aber frage ich mit unseren beiden Bibeltexten: Ist das die Tür, um die es geht? Oder ist es eine, hinter der nur wieder eine neue Gesetzlichkeit lauert? Glaubwürdig durch Einheit? Ein neues Rühmen, schaut her, was wir können? Das aber haben wir nicht nötig. Christus ist die Tür. Nicht wir als Kirchen. So schmerzlich das Trennende ist, das uns Verbindende ist größer als wir es sind. Der immer größere Gott macht sich in Christus so klein und kommt so nah, dass wir eine menschliche Kirche sein können. Nicht nur den Menschen zugewandt, sondern eben eine Kirche wie Menschen sind, auch verletzlich und fehlbar. So stellt Gott uns als Kirchen in diese Welt und in diese Zeit. Eine säkulare Welt und zugleich zutiefst sehnsuchtsvolle Welt. Eine Zeit der politischen Wirrnisse und technologischen Umbrüche, komplex und kompliziert, in der Menschen einfache Antworten und überschaubare Formen erwarten. Was ist unsere Aufgabe darin? Vielleicht die, gerade mit dem uns Trennenden und dem auch nicht Versöhnten gemeinsam weiterzugehen. Eine Einheit zu sein, die Widersprüche wahrt und aushält und eben darin eine verletzliche Einheit bleibt. Der immer größere Gott, der sich in die Tiefen des Menschlichen begibt, ist ja kein Gott der menschlich einfachen Lösung. Kreuz und Auferstehung – das heißt auch einander aushalten, durchhalten, beieinander bleiben und miteinander gehen. Der Auferstandene ist das Nein Gottes zu jeder Form menschlicher Ausgrenzung und er ist das Ja Gottes, barmherzig zu sein. Deshalb, ja, lieber Bruder Bode, sola fide und sola gratia, liebe Schwestern und Brüder, ist es möglicherweise unsere Aufgabe durch Christus wie durch eine Tür zu gehen und zwar als Verschiedene und Getrennte und durch Christus zu Gemeinsamen zu werden. Wir sind auf der Schwelle, auf der wir auch ziehen und schubsen, auch streiten müssen – und es können, gelassen, in aller Freiheit. Denn es geht ja darum, dass wir gemeinsam tun, was dran ist. Für den Menschen und mit den Menschen da zu sein. Eine Stimme in dieser Gesellschaft und in dieser Welt zu sein. Handeln. Für Menschenrechte, Gerechtigkeit, Barmherzigkeit. Gott in dieser Welt als Geheimnis wahren. „Ich bin gekommen, damit sie das Leben haben und volle Genüge“ spricht Christus. Vielleicht spüren wir mehr als zuvor, dass der Weg der Kirchen ein Pilgerweg ist. Fremde zu sein, Fremde auch einander, und auf dem Weg, noch nicht angekommen, in der Offenheit, dass die Vollendung noch aussteht, dass wir noch nicht wissen, wer wir sein werden. Aber doch in der Gewissheit, genau so von Gott getragen und geführt zu werden. Über die Schwelle gehen mit den Brocken der Vergangenheit und mit den Reichtümern und Charismen unserer Traditionen. Gepäck abgeben, verschenken, für den anderen tragen, auch miteinander teilen. Gemeinsame Wegzeiten. Gemeinsame Nahrung. Heute im Gottesdienst ist es für uns alle das Schwarzbrot. Vielleicht wird es morgen für konfessionsverschiedene Ehen die gemeinsame Mahlfeier sein. Übermorgen das von so vielen ersehnte Abendmahl für alle. Vielleicht aber auch noch nicht. Dann soll uns das doch nicht aufhalten, miteinander barmherzig zu sein und einander nicht zu viel zuzumuten, und einander im Blick zu haben. Das soll uns doch nicht aufhalten, gemeinsam weiter auf dem Weg zu sein, durch Türe, Tore und Pforten in neue Räume zu gehen und gestalten und handeln und mit und bei Anderen sein, in Gemeinden, Schulen, Krankenhäusern, auf Bahnhöfen, in Flüchtlingslagern, Akademien, in Kathedralen, Kapellen und auf Plätzen. Diese eine Tür nur müssen wir hinter allen Türen und Toren suchen, einander zeigen oder zeigen lassen. Diese eine Tür, aus der das Paradies von weitem leuchtet. Diese, die niemand schließen kann. Und dann gehen, erwartungsvoll, offen, voller Zutrauen, dass Gott zu Ende bringen wird, was er angefangen hat.